Half-Ironman Rapperswill 2012 - Stephanie Liedke

Meine erste Mitteldistanz

Stephanie Liedtke - 41 Jahre - Key Account Manager
Gesamtzeit: 05:55:11 h
Schwimmen: 00:39:08 h - Radfahren: 03:10:23 h - Laufen: 01:57:06 h

Bericht:

Im Herbst 2011 war es besiegelt: Ich würde mein erstes Mitteldistanz-Rennen bestreiten! Die Anmeldung jedenfalls war schon einmal über die Bühne…

Beschränkte sich meine „Triathlonkarriere“ bislang vor allem aufgrund des sehr überschaubaren Radtrainings nur auf eine Handvoll (vorausgesetzt, man hat vier Finger) Sprint-Distanzen, sollte es nun etwas „nachhaltiges“, etwas von Dauer sein. Die olympische Distanz überging ich bei meiner Planung grosszügig…die brauchte es nicht…wenn schon, denn schon.

Aber welches Rennen sollte es sein? Mmmh, lieber eine flache Radstrecke – die überforderte mich bei meinen ersten Rennen wohl nicht gar so arg wie etwas Hügeliges. Aber am liebsten auch etwas, das mehr oder weniger um die Ecke stattfand (falls, aber wirklich nur falls man in letzter Sekunde doch noch – und natürlich nur mit überaus triftigen Gründen ausgestattet – kneifen sollte) und man nicht schon in ein kostspieliges Wettkampf-Wochenendpaket inklusive Flug, Hotel etc. investiert hatte, aus dem man nicht mehr herauskam, weil man bei der Buchung vergessen hatte,  eine Reiserücktrittsversicherung abzuschliessen.

Am Ende siegte Nähe vor potenziellen Wadenkrämpfen: der Ironman 70.3 Switzerland Anfang Juni 2012 sollte es sein. Schliesslich hatte ich mir sagen lassen, dass die wunderschöne Kulisse die rund 1'000 Rad-Höhenmeter definitiv entschädigen sollten. Und was sind schon schmerzende Beine…

So, musste also nur noch jemand her, der mich fit machen konnte. Ich selbst hatte schliesslich nicht die leiseste Ahnung, was tun. Was lag da näher, als Katja anzufragen, mit der mein Mann Klaus schon seit Jahren einen sportlichen Erfolg nach dem nächsten erzielte.

Ja, glücklicherweise wollte Katja und schrieb mir ab Dezember 2011 fleissig Trainingspläne, die ich zu meinem grössten Erstaunen (ich hatte doch gröbere und zugegebenermassen auch berechtigte Bedenken, ob ich der Typ „nach Vorgaben trainieren“ sein würde) noch viel fleissiger abtrainierte. Hätte ich noch vor Herbst 2011 keinen Zehennagel vor die Tür gesetzt, wenn auch nur eine einzige Regenwolke mein Training potenziell hätte stören können, lief ich neuerdings – ohne die Mine zu verziehen – durch strömenden Regen und rutschte im Winter auf eisigem Untergrund frohen Mutes durch den Wald.

Die Trainingsmonate waren nass und kalt, vergingen aber wie im Flug. Und so ganz langsam aber sicher wurde ich auch auf dem Rad nicht mehr von Unterstufen-Schülern und -Schülerinnen, die auf dem Heimweg von der Schule waren oder ambitionierten, Hollandrad-fahrenden Müttern überholt. Ich schöpfte leise Hoffnung, die IM 70.3 Distanz in den Griff zu bekommen.

Half-Ironman Rapperswill 2012 - Stephanie Liedke kurz vor dem Start

Und dann war es endlich  soweit! Am Samstag vor dem Rennen checkten Klaus und ich bei strahlendem Sonnenschein die Räder vor Rapperswil’s atemberaubender Bergkulisse und umrahmt von staunenden Kamelen und Giraffen (die Wechselzone befindet sich direkt neben dem Kinderzoo) ein und sassen anschliessend beim Race Briefing noch ein wenig mit Freunden und Mit-Rennbestreitern zusammen. Ein Freund fragte mich beiläufig, ob ich die Nacht vor dem Wettkampf wohl gut schlafen könne. "Ja, klar", hörte ich mich vollmundig sagen, "ich bin zwar nervös, aber schlafen kann ich immer". Worauf dieser kommentierte: "Ich habe vor meinem ersten Ironman keine Sekunde geschlafen".
Dieser Satz hallte mir zwischen 2 und 3 Uhr morgens mindestens 1 Million mal in den Ohren, während ich mich schweissgebadet von einer Seite auf die andere wälzte, immer in der Hoffnung, doch noch wegzudämmern. Ich fasse es zusammen: Es gelang nicht wirklich...

Entsprechend traf mich fast der Schlag, als um 5:15 Uhr morgens der Wecker klingelte. Was, in DEM Zustand sollte ich einen Wettkampf absolvieren? Unmöglich! Zwei dick mit Nutella bestrichene Brötchen zwangen meine Müdigkeit jedoch mit jedem Bissen mehr und mehr in die Knie. In Rapperswil angekommen konnte man mich mit viel Liebe sogar als wach bezeichnen.

Half-Ironman Rapperswill 2012 - Stephanie Liedke trifft letzte Vorbereitungen in der Wechselzone

Und nun? Wechselzone einrichten. Als blutige Anfängerin, die wie gesagt noch nie eine längere Triathlon-Wettkampfdistanz absolviert hatte und noch dazu bei unklarer Wetterprognose startete (10 verschiedene Online-Wetterberichte prognostizierten 10 verschiedene Wetterszenarien), wollte ich nichts dem Zufall überlassen und hatte so viele Kleiderkombinationen dabei, dass ich damit locker einen dreiwöchigen Urlaub hätte machen können. Penibel positionierte ich dann auch alles nebeneinander an den Wechselplatz, um genau dieses alles 5 Minuten später, als ein mittleres Unwetter über Rapperswil hereinbrach, panisch und komplett durcheinander in eine Plastiktüte zu stopfen. Ach, wer brauchte schon einen gut eingerichteten Wechselplatz? Ich überzeugte mich davon, dass mir die Flexibilität, mich nach dem Schwimmen entscheiden zu können, was ich auf dem Rad anziehen wollte, gut täte…
Und weiter ging es zum Schwimmstart.

Half-Ironman Rapperswill 2012 - Schwimmstart

500 Frauen - Start alle zur gleichen Zeit. Um mich nicht gleich auf den ersten 100 Metern von kampfwütigen Bestzeit-Jägerinnen erschlagen zu lassen, stellte ich mich brav ganz nach rechts aussen und nahm die Extrameter, die ich sicher schwimmen musste, dankbar in Kauf.  Das Wasser war wie befürchtet unverschämt kalt. 16.7 Grad, hiess es. Au weia. Aber immerhin war ich jetzt endgültig wach.  Allerdings fühlte es sich bei genauerer Betrachtung gar nicht ganz so eisig an wie die Tage zuvor, als ich zähneklappernd einige Trainingsründchen absolviert hatte - Adrenalin ist offensichtlich in vielen Lebenslagen nützlich. Einem den modrigen Geruch abgestandenen Hafenwassers aus der Nase zu vertreiben schaffte es aber nicht. Zumindestens nicht in meinem Fall. Genau der zog mir nämlich kurz vor dem Start in mein Riechorgan und sorgte wahrscheinlich zusammen mit dem leichten Wellengang dafür, dass mir nach ca. 1'400 konservativ, aber erfolgreich geschwommener Meter richtig übel wurde. Ich konnte es zuerst gar nicht glauben, dass ich jetzt noch Probleme bekommen sollte. Die meiner Meinung nach psychologisch wichtige letzte Boje vor der Wende hatte ich doch schon längst hinter mir!!! Mir war so elend, dass ich sicher war, demnächst ohnmächtig zu werden. Was half es, ich musste einen Stopp einlegen und liess mich eine Weile auf dem Rücken treiben. Das brachte tatsächlich ein wenig Besserung und so konnte ich mich eine gefühlte Ewigkeit später sogar langsam wieder in Brustschwimm-Position bringen, in der ich noch eine Weile weiterruderte. Irgendwann versuchte ich es dann wieder mit dem Kraulen und merkte zu meiner Freude, dass das wieder funktionierte. Also nichts wie ab aus dem Wasser...

Noch leicht schummerig und mit einer zarten Schicht Grünalgen benetzt wankte ich in die T1. Oh je, die Kleiderfrage! Was anziehen? War mir kalt, war mir warm? Ich spürte nicht wirklich viel.  Ich wühlte ziellos in meiner „Wundertüte" mit den 1’000 Kleiderkombinationen herum und entschied mich spontan für ein Langarmtrikot, in dem jeder andere Athlet vermutlich spätestens auf der 2. Radrunde vor Hitze explodiert wäre. Ich jedoch hatte gerade 2 Wochen Karibik-Trainingslager hinter mir und ein anderes Kälte-/Wärmeempfinden – das passte schon alles tipp-topp! Losfahren!

Half-Ironman Rapperswill 2012 - Stephanie Liedke auf dem Rad

Auf dem Rad lief es fast von Beginn an prima. Die Übelkeit hatte sich nach den ersten beiden Kilometern wie schon zuvor die Wolken verzogen. Zudem stellte ich höchst erfreut fest, dass meine Beine funktionierten und vermutlich keine Muskelkrämpfe produzieren würden. Trotzdem liess ich mich nicht von dem zugegebernermassen vorhandenen Impuls verleiten, die mit Katja abgesprochenen Pulsbereiche zu überschreiten. Und das war sicher auch gut und richtig so. Denn auf diese Weise konnte ich die Radstrecke wirklich geniessen. Und während mein Rad-Umfeld am Berg schnaufte, ass ich PowerBar Riegel und Red Gums. Ein Reifenwechsel blieb mir zu meiner grossen Erleichterung erspart. Nachdem Klaus mich zwar mit viel Einsatz und mindestens ebenso vielen verlorenen Nerven auf diese fünfte Disziplin vorbereitet hatte, war ich froh, sie im Rennen nicht austesten zu müssen.
Und dann kam schon T2. Wieder eine meiner ausgeprägten Stärken. Ich verbrachte eine halbe Ewigkeit damit, mein Rad ordnungsgemäss an einer Dixitoilette zu parken, um die 3 L aufgenomme Flüssigkeit nicht mit auf die Laufstrecke nehmen zu müssen. Dann ging es weiter zur „Wundertüte“ am Wechselplatz, der ich nach kräftigem, aber erfogreichem Wühlen Laufschuhe, Mütze, Trinkgurt, 4 volle Trinkflaschen und eine Tüte Red Gums entnahm. Ach ja, und noch zur Vorsicht eine Weste, schliesslich sollte es ja eventuell Regen geben…
Hätte Klaus mich mit meinem „Gepäck“ gesehen, hätte er vermutlich und mit Recht einen mittelschweren Anfall bekommen. Aber zum Glück war er selbst Rennteilnehmer und irgendwo auf der Strecke. Als er nach dem Rennen die Fotos, die von mir gemacht worden waren anschaute, fragte er mich nur ganz verstört, was da beim Laufen alles an mir herumgebaumelt sei :o)

Half-Ironman Rapperswill 2012 - Stephanie Liedke auf der Laufstrecke

Mit gefühlten 4 Kilo Ausrüstung behangen funktionierten meine Beine aber noch immer nach Wunsch. Trotzdem liess ich mich auch jetzt nicht verleiten, von dem mit Katja abgesprochenen Pulsbereich abzuweichen. 21 km sind ja schliesslich lang und so oft war ich diese Distanz wirklich noch nicht gelaufen – nach 90 km Rad quasi noch nie. Die nicht unbeträchtliche Anzahl mittlerweile gehender Athleten bestätigte meine Entscheidung.

Die gefürchteten Treppen, die „Stairways to Heaven“ bei Kilometer 8 und 16 waren weitaus unspektakulärer als gedacht und konnten sogar laufend bezwungen werden. Aber erst auf den letzten 3 Kilometern wagte ich es dann endlich, etwas mehr Gas zu geben, weil ich mir sicher war, dass nicht mehr wirklich etwas schief gehen konnte. Der Zieleinlauf war sehr emotional und ich schwebe bis heute auf einer glücklichen, rosafarbenen Mitteldistanz-Wolke :o)
Ein ganz dickes DANKE an Katja für die super Betreuung und Unterstützung!!!

Für das kommende Jahr habe ich mir bereits ein neues Mitteldistanzrennen ausgesucht – Rapperswil hat mir so viel Spass gemacht, dass ich es noch einmal an anderer Stelle angehen möchte. Ich sehe ein gewisses berechtigtes Potenzial, Zeit in T1 und T2 einzusparen… und vielleicht sogar auch bei den anderen 3 Disziplinen ;o) Für diese macht mich Katja dann sicher fit!

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