Datev Challenge Roth 2013 & 2014 - Andrea Binder

Andrea Binder als glücklicher Finisher des Datev Challenge Roth 2014 mit Ehemann Thomas sowie Challenge CEO Felix Walchshöfer

Aufgeben gibt`s nicht!

Andrea Binder - 35 Jahre - Architektin
Gesamtzeit: 13:32:42 h
Schwimmen: 01:28:39 h - Radfahren: 06:10:29 h - Laufen: 05:45:27 h

Bericht:

Ich bin Mutter zweier Kinder, Architektin, und unsportlich. Zu Schulzeiten konnte ich die geforderten 2000 m nicht laufen, ohne mit starken Seitenstechen abbrechen zu müssen. Einen Triathlon zu machen, geschweige denn auf der Langdistanz (klassischerweise als „Ironman“ bezeichnet), war so ungefähr das letzte, das auf meinem Plan stand…

Rückblickend bin ich mir nicht sicher, wer oder was genau dafür verantwortlich ist, dass es genau dazu doch kam. …Aber, schieben wir die Schuld doch der Einfachkeit halber mal auf meinen Mann Thomas…

Wir springen drei Jahre zurück, wo sich Anfang Juli folgender Dialog entwickelte:

Thomas: „Du, diese Triathleten sind vielleicht Hunde! Voll krass. Das will ich auch mal machen!

Ich: „Nee, klar. Wir haben schon kaum Zeit fürs Marathon-Training, und du willst jetzt auch noch Schwimmen und Radeln? Abgesehen davon hast du kein Rennrad, und brauchst Du nicht auch einen Neo? Auf gar keinen Fall machen wir das.“

Thomas: „Ok, aber lass uns doch mal nach Roth fahren, da ist in 2 Wochen so ein Triathlon, den könnten wir doch mal anschauen…“

Zwei Wochen später mache ich mich also zähneknirschend, vor allem aber nichtsahnend, frühmorgens auf den Weg nach Roth… Zu diesem „kleinen Triathlon“… .Um 6:30 standen wir dann also mitten im unglaublichen Trubel auf der Brücke über den Kanal, direkt oberhalb des Schwimmstarts. Gefühlte 100 000 Menschen bejubeln Profis und Altersklassenathleten. Startschuss – das Getöse wird, wenn möglich, sogar noch größer. Später stehen wir an der Radstrecke am legendären Solarer Berg. Allerspätestens jetzt ist mir klar:

Ich. Will. Das. Auch!

Erst mal antesten - Ein Jahr vor dem Einzelwettkampf startet Andrea in einer Staffel beim Challenge Roth

Die Idee ist geboren, allerdings traue ich mir trotz Marathon nicht zu, bereits im nächsten Jahr als Einzelstarter die 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42 km Laufen zu bewältigen. Erst einmal antesten, beim 2 Wochen später stattfindenden Kuhsee-Triathlon, auf der Kurzdistanz. Mit Bikini und altem Trekkingrad lande ich dort auf dem 3. Platz. Ein Jahr später starten wir mit einem der heiß begehrten Staffel-Plätze bei der Challenge Roth. Der Zieleinlauf im Stadion ist Gänsehautfeeling pur. Einerseits. Andererseits: nach 11 h Pause (mein Part war das Schwimmen) fühlt sich der Zieleinlauf irgendwie nicht richtig an. Ich muss das wohl doch irgendwann mal alleine machen…!

Jetzt, am 20. Juli 2014, bin ich nun tatsächlich bei der Challenge in Roth.

Nach Monaten härtestem Training (An dieser Stelle vielen Dank an Coach Katja!) und einigen guten Platzierungen bei Trainingswettkämpfen (Nochmals: DAANKE – für das harte Training! ;-)) ist es jetzt soweit! Mein Rennrad steht eingecheckt in der Wechselzone, es ist 4:00 Uhr früh. Nach erstaunlich erholsamem Schlaf ist jetzt Zeit zum Frühstück! Mann und Kinder lasse ich noch schlafen und frühstücke mit Evi und Jürgen, einem Vereinskollegen, der heute ebenfalls antreten wird. Wir campen nur 300 m vom Schwimmstart entfernt, ab 5:00 Uhr kann man die Moderation am Start hören, mit dem steigendem Trubel dort steigt jetzt auch meine Aufregung. Noch schnell mit Sonnencreme einschmieren und los geht’s!

Starschuss für alle Frauen ist um 6:45 Uhr. Schwimmen ist nicht gerade meine starke Disziplin, eine Zeit von 1:20 h sollte aber schon drin sein. Jetzt also volle Konzentration auf die Technik, und vor Allem auf`s Geradeaus-Schwimmen – per se habe ich einen ziemlich starken Rechts-Drall. Die zweite Gerade zieht sich ewig hin, auf Höhe des Schwimmstarts, es sind noch ca. 800 m zu schwimmen, stelle ich fest dass ich schon knappe1:20 h unterwegs bin – mit meiner Wunschzeit von 1:15-20 wird das also nichts. Mist!

In der Wechselzone stelle ich fest, dass ca. 2/3 der Damen sind jetzt wohl vor mir sind. Aber egal, schnell runter mit dem Neo – immerhin klemmt diesmal der Reißverschluss nicht – und rauf aufs Rad!

29 – 30 km/h waren geplant, wegen der profilierten Strecke ist das aber schlecht einzuschätzen. Ich fahre also eher nach Gefühl: Die erste Runde ist der Wahnsinn, alles läuft perfekt, die Stimmung ist bombastisch und ich kann an die 300 Teilnehmer überholen! Das fühlt sich großartig an! Am Hotspot „Solarer Berg“ kommen mir fast die Tränen, es ist unglaublich emotional! Auf einer Strecke von 1500 Metern stehen Tausende Zuschauer, es gibt Moderation und Musik.  Irgendwo muss meine Familie am Rand stehen und mich anfeuern, im Trubel kann ich jedoch niemanden erkennen. Die Zuschauer stehen dicht an dicht, bilden bergauf eine Gasse, die kaum breit genug ist um mit dem Rad hindurchzukommen – echtes Tour-de-France-Feeling! Ich fliege förmlich den Berg hinauf!

Regelmäßig versorge ich mich mit Malto-Dextrin, Gels und Wasser. Die Sonne scheint, es wird immer heißer. Ich schütte mir an jeder Verpflegungsstation Wasser über Kopf und Rücken, um den Körper einigermaßen herunter zu kühlen. Feste Nahrung dagegen verweigert mein Magen mittlerweile vollständig. Insgesamt bin ich auf der ersten Runde deutlich schneller als geplant, laut GPS 31,0 km/h… Wenn alles so weiterläuft, kann ich die Sub12 noch schaffen, trotz fast 10 Minuten Zeitverlust beim Schwimmen.

Zu Beginn der zweiten Runde bekomme ich langsam Magenschmerzen. Vielleicht rächt es sich jetzt, dass ich kein Salz in der Malto-Dextrin-Flasche hatte? Besonders bei Anstiegen fällt meine Geschwindigkeit jetzt deutlich ab, die Stimmung an der Strecke kann ich auch nicht mehr so richtig genießen. Das Atmen fällt mir jetzt ziemlich schwer, nach ca. 4 h Sport kommt jetzt mein Belastungsasthma zum Vorschein. Na Prima, Asthma-Spray habe ich natürlich nicht dabei! Die Zuschauer sind aber immer noch genial, speziell an den Stellen, wo´s bergauf geht und sich die Qualen wohl so langsam im Gesicht abzuzeichnen beginnen. Ich mache mir Sorgen über den Laufpart, wenn die Schmerzen so stark bleiben, zumindest für die Atmung habe ich Hoffnung auf Besserung – mir ist eingefallen, dass ich in den Wechelbeutel vorsichtshalber ein Spray gesteckt habe, man weiß ja nie! Ich muss also noch durchhalten, und es sind ja nur noch 90 km bis zum Wechsel! … Essen will ich nichts mehr, zwinge mich aber dennoch, an allen Verpflegungsstellen Gels zu nehmen. Irgendwann kommt (Challenge-CEO) Felix Walchshöfer an mir vorbei, der ebenfalls zum ersten Mal die Challenge Roth absolviert. Er klopft mir beim Fahren auf den Rücken, spricht mich an. Ihm geht es wohl auch bereits nicht mehr so optimal, trotzdem ist er guter Dinge, motiviert mich, weiter zu machen. Die Unterhaltung auf den nächsten Kilometern lenkt mich von meinen Schmerzen ab, nach einiger Zeit muss ich ihn aber dann noch ziehen lassen, mir geht immer mehr die Kraft aus… Noch 20 km bis zur Wechselzone!

Einfach nur der Wahnsinn - das Gefühl beim Zieleinlauf des Datev Challenge Roth

Endlich in T2 angekommen bin ich vor allem froh, nicht mehr in gekrümmter Haltung auf dem Rad sitzen zu müssen. Wenn da nur nicht noch diese 42,2 km laufen wären! Oh Mann! Ich lasse es jetzt langsamer angehen, Asthma-Spray, Laufschuhe anziehen, auch eine Toilettenpause ist jetzt fällig… Nach 3 Minuten Wechselzeit laufe ich am Ausgang der Wechselzone meinem Mann Thomas und Sohn David in die Arme, und mache mich, mit frischer Motivation, auf den Weg Richtung Lände. 42 km liegen jetzt noch vor mir. Der erste km läuft ganz gut, dann kommt zur Lände hin der erste Anstieg. Ich will gehen, eine andere Läuferin zieht mich jedoch mit. Felix ist jetzt vor mir, kurzes Schulterklopfen, mit 5:50er Pace geht´s weiter zur ersten Verpflegungsstelle. Die Temperaturen liegen mittlerweile bei ca. 35 °C, mein Magen beruhigt sich etwas, die Beine dagegen werden zunehmend schwerer. Mein Kreislauf benimmt sich eigenartig, ich nehme mir vor, bei den Verpflegungsstellen regelmäßig Gehpausen einzulegen, dazwischen zu laufen.

Am ersten Wendepunkt in Schwanstetten haben die Anwohner ihre Rasensprenger rausgestellt, Kinder spritzen uns mit Wasserpistolen nass und haben riesigen Spaß dabei. Mein Magen spielt mittlerweile komplett verrückt, dementsprechend häufig werden die Pausen! Irgendwo nehme ich eine Hühnersuppe mit, später noch etwas Salz zusätzlich, um den Salzverlust zumindest etwas ausgleichen zu können. Immer wieder auch Gels, Wasser, Cola; Die Mischung ist echt gewöhnungsbedürftig, aber egal. Jetzt heißt es „Augen zu und Durch“ – von der Zeit her sollte es noch reichen. Die Gehpausen werden jetzt häufiger und länger. Bei km 15 spricht mich ein anderer Teilnehmer an, Lars begleitet mich ab jetzt und macht solidarisch jede Geh-Pause mit. Sicher könnte er eigentlich noch schneller laufen. Wir hangeln uns jetzt von Verpflegungsstelle zu Verpflegungsstelle -wann kommt denn dieser verdammte zweite Wendepunkt endlich?

Mittlerweile muss ich mich zwingen, überhaupt noch zu laufen. Gehen wäre jetzt soooo viel angenehmer, macht aber auch keinen Sinn, sonst dauert das ganze ja noch länger! Meine Knie und Hüftgelenke sind wohl ziemlich überlastet, die Schmerzen werden immer größer. In Eckersmühlen auf dem Rückweg sehe ich meinen Vater an der Strecke und werde - es ist mittlerweile bewölkt und regnet in Strömen - nochmal kräftig angefeuert. Immer noch kommen uns viele Läufer entgegen, die Ärmsten haben noch über 20 km vor sich – bei mir ist das Finish nun doch schon immer greifbarer, ich fasse neuen Mut!

Drei Kilometer später - ein stechender Schmerz meldet sich plötzlich im rechten Kniegelenk. Ich gehe zu Boden und kann erst einmal nicht aufstehen – das rechte Knie knickt unter Belastung komplett weg!
Wirklich? Nur sieben Kilometer vor dem Ziel, nach über 11:45 Stunden Wettkampfzeit, stehe ich jetzt vor dem Aus? Kommt ja gar nicht in Frage! Und wenn ich sieben Kilometer lang kriechen muss: ICH! WERDE! IN! DIESES! SCHEISS! STADION! EINLAUFEN! Fluchen hilft, und nach 5 Minuten komme ich, unterstützt von Mitläufer Lars, der immer noch bei mir ist, wieder hoch. Gehen geht jetzt so halbwegs, wenn auch nur mit steif nachgezogenem rechten Bein. An Laufen ist nicht zu denken. Immerhin, ich habe noch ausreichend Zeit – Zielschluss ist erst in etwa dreieinhalb Stunden. Die verbleibenden sieben Kilometer werden für mich hoffentlich auch in meinem derzeitigen Schneckentempo noch zu schaffen sein?!

Lars schicke ich jetzt endgültig weiter, die 7 km mit mir zu gehen, macht einfach keinen Sinn. Ich stelle mich darauf ein, mich von nun an alleine durchzubeißen…

Da habe ich die Rechnung aber ohne die Zuschauer gemacht, die, trotz der suboptimalen Witterung – es regnet mittlerweile – weiter an der Strecke ausharren. Die Unterstützung ist unbeschreiblich: Nach wie vor jede Menge Anfeuerungsrufe, alle klatschen, viele sprechen mir ein paar motivierende Worte zu. Mehrere Zuschauer begleiten mich ein Stück entlang der Strecke. Meine Emotionen kochen hoch, mehrfach habe ich mit den Tränen zu kämpfen… Endlich erreiche ich die Lände, das Ziel ist jetzt fast schon hörbar, ich muss aber erst noch die Runde über den Marktplatz absolvieren. Meine Schmerzen sind mittlerweile so stark, dass ich für jeden Kilometer fast 12 Minuten benötige. Die Läufer, die mich jetzt überholen, klopfen mir zum Großteil aufmunternd auf die Schulter, bieten mir Salztabletten gegen die vermeintlichen Krämpfe an. Ein Kind an der Strecke streckt mir auf der Handfläche ein paar Gummibärchen entgegen. Jetzt laufen mir wirklich Tränen übers Gesicht. Noch 2000 Meter.

Ich bin vollkommen überwältigt – vom Schmerz, von der -mittlerweile- Kälte, von der Tatsache, dass ich langsam realisiere: Ich werde es schaffen! -  Den Rest der Strecke überwinde ich notfalls auch auf den Händen oder krabbelnd! Am Beginn des Zielkanals erwarten mich meine Kinder, die seit über 1 ½ h dort ausharren. Gestützt auf ihre Schultern, humple ich jetzt die restlichen 400 m über den roten Teppich bis ins Ziel, vorbei an den vollen Tribünen in diesem Hexenkessel von Zielarena. Nach 13 Stunden und 32 Minuten habe ich es geschafft, wer mir die Medaille umhängt, bekomme ich gar nicht mehr so richtig mit! Über Lautsprecher höre ich meinen Namen und die Worte „Welcome to the Challenge-Family!“ Trotz Schmerzen, meiner Vergangenheit als Nicht-Sportler, mit (wie sich später herausstellt) Meniskusanriss, habe ich es geschafft! Ich bin jetzt ein "Ironman" - äh, sorry, "Challenge Woman"!!

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